JA! Und hier kommen die Gründe
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Sobald man über eine Reise nach Syrien im Internet recherchiert, stößt man ziemlich schnell auf diese Frage: Ist es ethisch vertretbar, nach Syrien zu reisen? In diesem Artikel soll genauer erläutert werden, was dahinter steckt, was damit gemeint ist, und die Antwort gegeben werden, warum es auf jeden Fall vertretbar ist!
Einige Youtube-Starts und Instagram-Persönlichkeiten sind in den vergangenen Jahren nach Syrien gereist. Die ein oder andere Berichterstattung ihrerseits hat für Shitstorms gesorgt. Grund dafür ist ein unsensibler Umgang mit den Gefühlen von Syrerinnen und Syrern im Land selbst, aber auch von denen, die im Exil leben. Ein anderer Grund war unter anderem auch, dass die Youtube-Videos eher wie Propaganda wirken und die Tatsache verschweigen, dass die Person mit einer privaten Tour unterwegs waren.
Der Reisevlogger Nomadic Matt schreibt sogar einen ganzen Artikel darüber, warum man aus ethischen Gründen (nicht wegen der Sicherheitssituation) NICHT nach Syrien reisen sollte, und regt sich wirklich aggressiv und lauthals über diejenigen auf, die ihr “westlichen Privileg zum Reisen nach Syrien missbrauchen.”
Eine Reise nach Syrien sollte immer sensibel und kulturell angemessen organisiert werden. Aber das gilt doch auch für jede andere Reise?
Manche sagen: “Eine Reise nach Syrien ist Urlaub in der Misere von anderen Menschen”
Eine kurze Gegenfrage: Was ist mit Freiwilligen, die im Gap-Year nach Afrika reisen, um sich mit schwarzen Babys auf dem Schoß fotografieren lassen, während sie ein paar Lollipops verteilen? Was ist mit unethischen Menschensafaris in Äthiopien oder Papua-Neuguinea, nur um Fotos auf Instagram mit echten “Eingeborenen” (am besten noch nackten Menschen) zu posten?
Unethisches Verhalten auf einem Trip geht von dem Reisenden aus, nicht von der Destination per se. Meiner Meinung nach spricht nichts gegen einen Trip nach Syrien, wenn man die Menschen vor Ort respekvoll, verantwortungsbewusst und empathisch behandelt.
Manche sagen: "Eine Reise nach Syrien heißt die Menschenrechtsverletzungen gut, die im Land geschehen"
Dann aber bitte auch nicht mehr in gewisse Länder in Südostasien, in Nahen Osten, in Südamerika oder in chinesisch sprechende Teile der Welt reisen ... Mal ehrlich, wenn wir Tourismus boykottieren, trifft das am wenigsten die, die wir damit strafen wollen. Im Gegenteil, es trifft die normalen Menschen in Städten und Dörfern, deren Einnahmequelle der Tourismus ist. Für Syrien gilt, dass der Tourismus aktuell einer der wenigen Bereiche ist, die nicht von den verhängten weltweiten Sanktionen betroffen ist. Wie fast alles andere im Land....Es ist daher sogar enorm wichtig, den Tourismus im Land anzukurbeln. Viele Menschen können nicht mehr in den Jobs arbeiten, die sie vor dem Krieg hatten. Der Tourismus ist ein potenzielles neues Standbein. Die Motivation, nach Syrien zu reisen, sollte nicht Politik sein. Es sollten nicht Bilder sein, auf denen du dich vor Ruinen und durchschossenen Wänden ablichten lässt. Es sollten die geerdetet Mensch-zu-Mensch Beziehungen, die alltäglichen Begegnungen auf der Straße, an der Bushaltestelle, im Café sein, durch die du das Land durch eine simple menschliche und nahhbare Art und Weise erfährst!!
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Auch wenn deine Reise über eine Agentur gebucht wird, hast du die Möglichkeit, aktiv mitzugestalten. Du kannst entscheiden, wo gegessen wird, wo du deine Souvenirs kaufst, wo du dein Geld ausgibst – und die siehst mit eigenen Augen, dass das Geld da ankommt, wo du es haben möchtest.
Tatsächlich ist gemeinschaftsbasierter verantwortungsbewusster Tourismus ist ein wirksames Tool, um einen unvoreingenommenen kulturellen Austausch zwischen Einheimischen und ausländischen Besuchern zu etablieren. In Sri-Lanka sieht man anhand der Zahlen sogar, dass der Tourismus den Frieden im Land weiter stabilisiert hat: Ein Anstieg im Tourismussektor um 20 % hat alle Konflikte im Land um 15 % verringert.
Manche sagen: "Touristen geben ein falsches Bild von der Sicherheit im Lande wieder"
Fakt ist, dass Millionen von Syrerinnen und Syrern im Exil aktuell noch nicht in ihr Heimatland zurückkehren können. Dies hat unterschiedliche Gründe. Bei einer Einreise droht diesen Menschen die Abweisung und sogar Verhaftung. Aber Syrerinnen und Syrer, die zurückkommen, sind vielleicht auch gar nicht mehr in ihrer Nachbarschaft willkommen oder ihr Eigentum existiert gar nicht mehr. Desweiteren droht vielen Syrern der Einzug ins Militär, sobald sie die Grenze überschreiten. In diesem Falle können sie nicht wieder ausreisen, wenn sie möchten. Auch kann es sein, dass die neue Aufenthaltsgenehmigung (zum Beispiel in europäischen Ländern) von Syrerinnen und Syrern umgehend ungültig wird, sobald sie nach Syrien einreisen.
Generelle Aussagen wie “Syrien ist komplett sicher”, sind daher mit Vorsicht zu genießen und aus Respekt zu im Exil-lebenden Syrerinnen und Syrern zu unterlassen. Wenn immer ich über die Sicherheit rede, werde ich deshalb ganz deutlich machen, dass das die Lage von mir subjektiv als sicher wahrgenommen wurde. Ich reise auf einem deutschen Reisepass. Die Reiseagentur holt für jeden Ausflug Genehmigungen ein und weiß ganz genau, wo wir hin können. Ich bleibe nie lange an einem Ort – deshalb muss man sich immer bewusst sein, dass Touristen ganz andere Voraussetzungen haben, um die Sicherheitslage zu beurteilen.
Vor meiner Reise habe ich mit drei Menschen aus Syrien (heute in Jordanien lebend) über dieses Thema gesprochen.Hätte auch nur einer von ihnen gesagt "hey, wir können nicht zurück, also sollst du auch nicht reisen", hätte ich das befolgt!
Aber nein, sie waren einer Meinung: “Wenn du die Möglichkeit hast, Syrien zu besuchen, mach das! Es ist so ein wundervolles Land”
Allgemeine Schlussfolgerungen zu Reisen nach Syrien
Du wirst sicher deine eigenen Gründe haben, warum du Syrien bereisen möchtest. Zusätzlich gibt es ein paar allgemeine Schlussfolgerungen, warum es vollkommen vertretbar ist, nach Syrien zu reisen:
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Reisen bricht Vorurteile und Stereotype. Und das vor allem in Nachkriegsgesellschaften wie Syrien, über die es nur sehr wenige und einseitige Infos in den Medien gibt.
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Du trägst zu einem Austausch auf Augenhöhe zwischen Kulturen und Religionen bei.
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Du korrigierst Annahmen, die du hattest und erlebst positive Überraschungen.
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Du zeigst Interesse an den Menschen und ihrer Geschichte vor Ort. Genau das wünscht sich eine Gesellschaft im Neuaufbau!
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Du lernst, dass Syrien nicht nur eine Kriegsnation ist, sondern eine Ursprungsquelle der Menschheit. Du wirst über Kultur und Geschichte lernen, wie es in fast keinem anderen Land der Welt möglich ist!
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