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Von Jägern und Freunden: Das Taubenspiel

Die Kunst des Fliegen

Khader ist ein kashish hammam. In dritter Generation züchtet und trainiert er Tauben, um Geld zu verdienen. In Amman gehören die elegenat aufsteigenden Taubenschärme zum Stadtbild dazu. Dahinter verbirgt sich eine spannende Technik, bei der Tauben andere Tauben "einfangen" sollen. Bei sich auf dem Dach spricht er über strikt festgelegte Regeln, Nachbarschaftsabkommen und  Stereotype.

 

Über ein enges, dunkles Treppenhaus geht es zwei Stockwerke nach oben. Einige Steine brechen aus den Stufen bereits heraus. Der Putz blättert von den Wänden. Eine quietschende Holztüre eröffnet den Durchgang zu einem der besten Aussichtspunkte in Amman: Khaders Dach auf einem Hügel in Ost-Amman.

 

 

 

Khader greift tief in die graue Regentonne, nimmt eine handvoll Maiskörner heraus und verteilt sie auf seinem Dach. In Sekunden ist er von dreißig oder vierzig Tauben umgeben – es ist schwer zu zählen, denn alle fliegen durcheinander. Nach dem kleinen Snack reihen sich die Tauben in Reih und Glied auf der äußersten Hausmauer auf. Khader macht einige Bewegungen und Töne und dann begeben sich die Tauben in einer perfekt trainierten Performance in die Luft. Es scheint, als weiß jede Taube genau, was zu tun ist. Jede kennt ihren Platz. Und gemeinsam formen sie diesen mit dem Sommerwind fliegenden, eleganten Schwarm und kreisen hoch über den Dächern Ammans. Die Sonne flimmert verschwommen am Horizont und glänzt in der staub- und sanddurchsetzen Luft.

 

 

Egal wo in Amman, reckt man seinen Kopf in Richtung Himmel, entdeckt man zwei stets zwei Dinge: Die kreisenden Taubenschwärme und die selbstgebauten Drachen mit ihren langen Schwänzen, die in den jordanischen Nationalfarben bemalt sind. Die elegant tanzenden Tauben in der Luft sind in Amman genauso typisch, wie die aus weißen Stein gebauten Häusern mit Flachdächern – auf einem davon stehe ich gerade.

 

 

 

Khader ist كشيش حمام (kaschees hammam) und das schon in dritter Generation. Alle Taubenschwärme, die man über Amman Dächern ausmachen kann, sind im Besitz eines kaschees hammam. Das Taubenzüchtern hat in der levantinischen arabischen Welt (Jordanien, Libanon, Syrien) eine lange Tradition und ist viel mehr als ein Beruf.

 

 

Khaders Tauben setzen zum Landeanflug an. Seine Augen sind fokussiert auf den Schwarm. Blitzschnell erkennt Khaders, dass eine fremde Taube gemeinsam mit seinem Schwarm auf der Dachmauer landet. Genauso ist es gewollt. Mit einem großen leisen Schritt und einer schnelle Handbewegung fängt er das neue Mitglied des Schwarm und prüft den Fußring mit einem sehr zufriedenen Lächeln. Dann zeigt er auf ein Haus auf einem anderen Hügel und sagt: „Diese Taube gehört meinem Nachbarn dahinten. Wir haben ein Freundschaftsabkommen. Er kann sie sich am Freitag auf dem Markt kostenlos zurück holen.“ Nun sperrt er die Taube in seinen großen Verschlag.

 

 

"An manchen Tagen gewinnt man Tauben. An anderen kommen weniger zurück"

 

Ziel eines كشيش حمام ist es, seinen Taubenschwarm so attraktiv zusammen zu setzen, und so zu trainieren, dass die Tauben möglichst viele neue Vögel anziehen und mit zurück bringen. An manchen Tagen vergrößert sich der eigene Schwarm, an anderen Tagen kommen weniger Tauben zurück, als ursprünglich aufgestiegen sind.

 

 

 

Unter den كشيش حمام gibt es zwei Möglichkeiten: Das Freundschaftsabkommen oder den Jäger-Status. Unter „Freunden“ werden die dazugewonnen Tauben freitags auf dem Markt zurück getauscht und das Können untereinander mit Anerkennung wertgeschätzt. Khader hat sich auf diesen Status mit den meisten seiner Nachbarn geeinigt. „Nur einer“, sagt er, „ist stur“. Unter Jägern wird das Spiel eher zum Sport. Die „gefangenen“ Tauben werden nicht zurück getauscht. Der Zugewinn von Tauben, die einem Jäger gehören, werden entweder zum Züchten oder zum Verkauf genutzt. Besonders hübsche und exotische Mischungen werden auf dem Markt für bis zu 200 JD (ca. 250 Euro) verkauft. Einmal hatte Khader so einen super-Deal abgeschlossen. Unter Lachen und stolz erklärt Khader, dass diese Taube nach einer Woche zurück zu seine Schwarm kam, wenn auch mit einem fremden Fußbändchen.

 

 

 

 

Der Besuch bei Khader ist eingebettet in die „Alternative Amman Tour“. Eine vierstündige Tour, hauptsächlich durch East Amman, in der nicht nur geschichtliche Ereignisse mit aktuellen politischen Entwicklungen verknüpft werden, sondern die auch mit Vorurteilen über Ost-Amman aufräumt. Die Unterscheidung zwischen West-Amman und Ost-Amman hört man tatsächlich oft in Stadtgesprächen.

 

West-Amman hat Orte, deren Name allein schon glamourös klingt, wie beispielsweise „Rainbow-Street“ und „Paris-Square“. Abgeordnete, Politiker und der König wohnen in West-Amman. East-Amman nicht. Die Zusammensetzung der Menschen, die hier leben, ist diverser. Übrigens, meint die Unterscheidung nicht die geographische Grenze zwischen West und Ost Amman. Die Begriffe werden eher verwendet, um ab- oder aufzuwerten, je nachdem wie „hübsch“, sauber oder modern eine Nachbarschaft ist. Die Begriffe stecken vor allem die Bevölkerung, die in den jeweiligen Orten leben, in eine Schublade.

 

 

Ein fremder Taubenschwarm am Himmel erweckt Khaders Aufmerksamkeit. Er erkennt sofort, dass dieser Schwarm einem „Jäger“ gehört und wittert seine Gelegenheit. Mit der eingeübten Armbewegung sendet er seinen Schwarm in die Lüfte. In der Hoffnung, dass sie eine Taube abwerben können. Oder zumindest, dass alle seiner Tauben Loyalität beweisen.

 


Anas and his company "Through local eyes" offer the "Alternative Amman Tour" for individuals and groups. Contact him in Whatsapp: 00962790795671

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