Travel-Guide in Covid-Zeiten: Border Crossing in die Türkische Republik Nordzypern (über Nicosia)
Was haben die Türkische Republik Nordzypern mit zum Beispiel Somaliland, Kosovo und Kurdistan gemeinsam? Sie alle gehören zu einer Gemeinschaft von Staaten (oder staatsähnlichen Gebieten), die ihre Unabhängigkeit ausgerufen haben, aber nicht von allen UN-Ländern gleichermaßen anerkannt werden.
Der nördliche Teil von Zypern hatte 1983 seine Unabhängigkeit ausgerufen und seit dem verläuft die Grenze mitten durch die Hauptstadt Nicosia. Die Türkische Republik Nordzypern wird von genau einem Staat der Welt anerkannt: Der Türkei.
Offene Kampfhandlungen gibt es nicht, doch die Lage kann sich nach bestimmten politischen Ereignissen verhärten. Es gibt eine ca. 30m breite "Greenzone", oder auch Pufferzone, die von UN-Truppen kontrolliert wird.
Die Häuser in diesem Streifen: Leer und verwaist.
Was zusätzlich Brisanz liefert: Zypern ist teil der EU, die Türkische Republik Nordzypern nicht. Eine EU-Außengrenze auf so einer kleinen Insel.
In diesem Artikel kommt ihr mit auf einen Tagesausflug nach Nicosia und ihr könnt miterleben, wie wir versuchen die Grenze zu überqueren......(Achtung Spoiler: Und es auch schaffen).
Nicosia, zyprisch-griechischer Teil: Erster Eindruck
Ich hatte mal eine Zeit, da wollte ch keine Zeit mehr in Hauptstädten verbringen. Am Flughafen gelandet, und egal wie müde ich war, direkt mit Bus in eine andere Stadt...
Nicosia hingegen zieht uns an!
Ganz knapp nach der deutschen Wiedervereinigung bin ich geboren... Und kann mir so eine Teilung mitten durch die Stadt kaum vorstellen. Vielleicht will ich deshalb in Europas letzte geteilte Hauptstadt.
Für eine Hauptstadt kommt mir die Stadt überraschend klein und fußläufig vor. Es gibt auch mehr lokale Geschäfte als internationale Marken. Hier ist aufjeden Fall "multikulti" angesagt: Es gibt eine philippinische Mall, eine ganze Straße mit ausschließlich indischen Supermärkten und ein brasilianisches Kulturzentrum. Und das alles ein paar Metern von der Pufferzone entfernt. Die Pufferzone, die die Insel in zwei teilt. Auf beiden Seiten eigenständige, unabhängige Länder, wenn man ihre Bewohner fragt.
Ohne Visum in den türkischen Teil Zyperns
Es gibt eine handvoll Übergänge, und das auch erst seit 2003. Manche nur für Passanten, andere auch für Autos. Der wohl bekannteste Übergang ist auf der Ledrastraße, die Haupteinkaufsmeile in Nicosia. Gerade schlendert man noch an H&M und "Pull&Bear" vorbei und plötzlich steht man vor einem kleinen mobilen Container mit Tür und Fenster, in dem zwei Grenzbeamtinnen ihrer Arbeit nachgehen. In der Ferne kann man den gleichen Container auf türkischer Seite erahnen. Doch dazwischen befinden sich jede Menge Schilder, eine Mauer und eine UN-Pufferzone, die die Sicht versperren.
Man kann sich gar nicht vorstellen, dass diese belebte, einladene Einkaufstraße auch mal "Mord-Meile" bezeichnet wurde, als die griechische Untergrundbewegung EOKA dort regelmäßig Attentate verübte.
Seit 2003 gibt es hier nun jedenfalls einen Checkpoint, und wir fragen mal vorsichtig an der Nord-Zypriotischen Seite nach, welche Kriterien denn für einen Übergang erfüllt sein müssen. Ein EU-Pass und ein Schnelltest (nur ausgedruckte Form, nicht auf dem Handy!) - das ist zu unserem Erstaunen alles.
50m Niemandsland
Das muss man uns nicht zwei mal sagen, und schon sind wir auf dem Weg zu der nächsten Apotheke, um einen Schnelltest zu machen. Zurück am Checkpoint, fragen wir sicherheitshalber noch mal nach, ob wir auch wirklich, wirklich mit den gleichen Dokumenten später zurück nach Nordzypern kommen. Denn immerhin steht unser Leihwagen hier, und überhaupt, unsere ganzen Sachen, unsere Ferienwohnung sind ja auf dieser Seite.
Nachdem man uns versichert, dass dies kein Problem sei, laufen wir also mal eben in fünf Minuten rüber in die Türkei. Also in die Türkische Republik Nordzypern natürlich.
50 Meter Niemandsland. Hinter einer Mauer stehen UN-Soldaten. Sie bewachen diese Pufferzone Tag und Nacht. Nicht nur, um den Frieden zwischen den zwei "Staaten" weiterhin sicher zu stellen, sondern auch um Menschen daran zu hindern, ohne Papiere hier rüber zu gehen.
Andere Währung, andere Geschäfte, anderes Essen, andere Kleidung. Verrückte Welt.
One Cyprus - Wiedervereinigung möglich?
Was mir sofort auffällt, beziehungsweise wo ich als Friedensfachkraft schon von Natur aus nicht vorbei gehen kann, ist ein super gemütliches, kleines Cafe, das folgendes Plakat im Fenster hängen hat: "United Cyprus". Auf einmal bin ich hellwach, hunderte Frage gehen mir durch den Kopf, über dieses Friedencafe so nah am Checkpont. Es ist gut besucht.
Der Mann, von dem ich ausgehe, dass er der Besitzer ist, und überhaupt nicht griechisch oder türkisch aussieht, grüßt Passanten auf der Straße mit Namen, serviert einen Latte und plaudert nenebei mit ein paar Stammkunden. Dieses Cafe ist fest etabliert im Stadtbild - das merkt man sofort. Schnell kommen auch wir ins Gespräch, bekommen eine Empfehlung für ein Restaurant und versprechen, nach dem Mittagessen auf einen Tee vorbei zu kommen. Für mich ist das sicher, denn ich will unbedingt mehr Infos über diesen Ort haben, der an dieser Stelle wirklich exotisch wirkt.
Zurück bei Simo: Für jedes Land einen Pass
Drei Döner-Kebabs und einer Stadttour später sind wir zurück am Friedenscafe. Meine erste Frage an den aufgeschlossenen Besitzer: "Wie lange hast Du das Cafe hier schon?" Er erzählt, dass er lange Zeit als Journalist gearbeitet hat. Zuerst im Nordteil der Insel, später auch im Süden. Im Süden hat er bei Freunden ein ähnliches Cafe gesehen. Mit coolen Vibes und gutem Kaffee. Das wollte er auch nach Nordzypern bringen. Vor sechs Jahren hat er sich diesen dann Traum erfüllt.
"Und mit den Papieren, der Arbeitserlaubnis, war das aufwändig?" will ich wissen, und gleichzeitig rausbekommen, wie es Simon hier her verschlagen hat.
Sein Vater ist türkischer Zypriot, seine Mutter ist aus England. Aufgewachsen ist Simon in London. Sein Vater hat ihm nie richtig sein Land gezeigt. Das hat Simon dann vor in paar Jahren selbst in die Hand genommen und ist mit seiner eigener Familie in die Türkische Republik Nordzypern gezogen. Durch seine Mutter hat er einen UK-Pass, durch seinen Vater aber auch einen Nord-Zyprischen Pass. Und auf Grund des Rechtsanspruch für vertriebene türkische Zyprioten aus dem Süden, darf die Familie bis zur vierten Generation auch den Pass von Süd-Zypern beantragen. Er ist also überall Staatsbüger und hat somit auch keine Probleme mit den Papieren gehabt. :)
Simon fügt hinzu: "Wenn ich rüber auf die andere Seite von Nicosia gehe, zeige ich bei den türkischen Beamten meinen türkischen Pass und dann 50 Meter weiter bei den grierischen Beamten zeige ich dann meinen zyprischen Pass. Total easy."
Pro-Wiedervereinigung ist gesellschaftsfähig
Wir bestellen nun auch zwei Tees, obwohl ich deshalb nicht hier hin. Mein Plan geht aber auf und eine kurze Zeit später sitzt Simon mit uns am Tisch. Er freut sich über meine Fragen und erzählt gerne. Das ist mein Freifahrtsschein. Und so frage ich weiter: "Was muss passieren, dass das Plakat Wirklichkeit wird?" (Also, dass sich beide Inselteile wieder vereinen).
Keine einfache Frage. Simon versucht es: "Zuerst einmal müssen wir auf beiden Seite wieder sowhl griechisch als auch türkisch lernen. Denn ohne Verständigung, kein Friden." Simon spricht fleißend türkisch und lernt aktuell auch griechisch. Die Diskussion mit einer alten, griechisch-sprechenden Dame, darüber wie sie ihren Kaffe möchte, führt er aktzenfrei!
Natürlich hänge es auch stark von den Politikern ab. Pro-Wiedervereinigung ist total gesellschaftsfähig und kommt bei der Bevölkerung (auf beiden Seiten) relativ gut an. Viele Politiker geben sich deshalb im Wahlkampf immer Pro-Wiedervereinigung. Wenn sie dann gewählt sind, fallen ihnen immer viele Gründe und Argumente ein, warum es ausgerechnet jetzt doch nicht zu einer Wiedervereinigung kommen soll.
Zwei verschiedene Geschichten, was passiert ist
Und eine dritte Voraussetzung für eine mögliche Vereinigung, ist, dass sich die Narrative ändern müssen, die aktuell in den Schulen unterrichtet werden.
"Welche sind das denn?", will ich wissen.
Das griechisch zypriotische Narrative über den Krieg und die Teilung lautet: Die Türkei hat Nordzypern unrechtmäßig besetzt.
Das trükisch zypriotische Narrativ lautet: Wir haben als Verbündeter Seite an Seite mit den grierischen Zyprioten für die Unabhängigkeit unter der britischen Besatzung gekämpft - erfolgreich. Als dank dafür wurden wir aus unseren eigenen Häuser, von unserem eigenen Land vertrieben.
Simon sagt, dass ein Narrativ immer etwas Wahrheit beinhaltet, sonst würde es keiner glauben. Viel wichtiger wäre es aber, die gemeinsame Geschichte zu lehren und einen Sinn für Gemeinschaft, für eine gemeinsame Nationalität zu stärken.
Schokolade, aber bloß nicht zu viel
Jetzt hat sich noch eine andere Frau, auch Stammgast hier, zu uns gesetzt. Sie kommt gerade aus Guatemala wieder, wo sie ein Kakaobohnen-Projekt betreut und sie hat Simon etwas mitgebracht: 100 Prozent Kakao-Schokolade. Ohne Zucker und ohne Butter. Sie sagt, dass in Guatemal damit Zeremonien durchgeführt werden, und man von dem puren Konsum auch mal etwas "high" werden kann....Simon steht gleich auf und schäumt sich eine Milch zusammen mit der Schokolade auf und bietet uns auch etwas von seinem kostbaren Geschenk an. Später erfahre ich, dass die Frau griechische Zypriotin ist. Und das veranlasst mich zu fragen: "Ob sein Cafe denn auf beiden Seiten gleichermaßen angenommen wird?"
"Oh ja, natürlich". Er habe Stammgäste auf beiden Seite. Das war auch die Idee. Und wäre das nicht so, würde sein Cafe an dieser Stelle, mit dieser Vision, gar keinen Sinn machen. Auch seine Angstellten sind bunt durchmischt.
Na, und das Plakat? Wiedervereinigung Zyperns, ist das nicht etwas ´gefährlich´so offen zu platzieren? Simon lacht. Das Plakat hängt erst seit 6 Monaten. Zu seinen Stammkunden zählt übrigens auch DER hardcore Nationalist überhaupt aus dem türkische-zypriotischen Teil. Und selbst der kam letztens wieder vorbei, wie Simon erzählt, hat seinen üblichen Kaffe an seine Stammplatz getrunken. Direkt unter dem Plakat. Zufrieden und mit einem Lächeln auf dem Gesicht. So kann es gehen. Simon hat dann gleich ein Beweisfoto gemacht :)
Wieder zurück - auf der anderen Seite
Es fängt langsam an zu dämmern. Wir bedanken uns für diesen schönen Nachmittag, und für die Geschichtsstunde!
Auf dem Rückweg stempeln wir zuerst auf der türkischen Seite, laufen die 50 Meter, diesmal auf der linken Seite, und werden dann wie versprochen mit Pass und Schnelltest (dem selben natürlich) auch wieder in Zypern reingelassen.
Ein wirklich bewegender Ausflug! Und da wir absolut keine politische Agenda verfolgen, und auch nicht die UN sind, zählen wir die Türkische Republik Nordzypern, genauso wie unsere Besuche in Somaliland und Kurdistan, einfach als ein neues Land :) Unser erstes neues Land in 2022. Am nur am dritten Tag des Jahres. Wie aufregend.
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